KING & JESTER
Es ist früh, als Ragnar seine Augen aufschlägt und an die hölzerne Decke starrt. Starke, blaue Augen, die das Holz mustern, ehe der Blick zur Seite geht und er auf den blonden Schopf seiner Frau blickt. Ihre Augen sind geschlossen und als er innehält, nimmt er das sachte Atmen wahr. Sie schläft und ist fernab, im Land der Träume und Sagen. Seine Lippen finden zu ihrer Wange, er küsst sie und streicht sanft über ihre Seite.
„Lagertha“, flüstert er leise und erinnert sich an die warme, letzte Nacht. Er erinnert sich an die Berührungen, an ihre weiche Haut an seinem nackten Körper und an den Klang ihrer Stimme, als sie auf ihm war. Ein flüchtiges Grinsen huscht über sein Gesicht, dann erhebt er sich und verlässt das Bett. Er sucht sich etwas zum Anziehen und tritt schließlich aus dem Haus, hinaus in den Tag und das Leben von Kattegat. Tief atmet er ein und aus, inhaliert die kalte und frische Morgenluft, bevor er seinen Weg beginnt, in Richtung des Wassers. Nebel umgibt Kattegat, hat sich herangeschlichen und legt das Dorf in einen urigen Zustand. Die meisten Bewohner liegen noch in ihren Betten, schlummern im Land der Träume, in dem sich auch seine Frau befindet. Ragnar weiß jedoch, welche Person zu dieser Zeit nicht mehr in seinem warmen Bett liegt. Er ist dann wach, wenn die anderen schlafen. Er ist dann aufmerksam, wenn andere wegsehen. Er ist dann bereit zu kämpfen, wenn andere den Kopf einziehen. Loyal, frech und der beste Schiffsbauer, den Ragnar kennt. Lothbrok muss grinsen, als er an jenen Mann denkt, welcher bereits vermutlich nach Insekten oder Fischen jagt, während er mit Loki, oder einem anderen Gott redet.
Ragnar irrt sich nicht, denn als er den Strandabschnitt betritt, vernimmt er Geräusche, die vom Wasser her kommen. Er hört jemanden reden; Nein – er hört jemanden Fluchen. Grinsend folgt er der Stimme, die ihn zu seinem Schiffsbauer und Freund, Floki führt. Jener steht lediglich mit einer Stoffhose und Hemd knietief im Wasser und ist dabei nach Fischen zu jagen.
„Wenn du so schreist, ist es kein Wunder, dass du sie nicht erwischt!“
Floki sieht ruckartig zu Ragnar, seine Augen etwas zusammengekniffen, ehe er sich einen bereits gefangenen Fisch schnappt und damit nach Ragnar wirft. Ragnar duckt sich nicht und fängt den Fisch, bevor dieser zu Boden fällt.
„Deine Nacht scheint mir kurz gewesen zu sein, wenn du schon wach bist, Ragnar.“
Ein Grinsen zeigt sich auf Flokis Gesicht und als Ragnar bei ihm steht, umarmen sich beide freundschaftlich.
„Wer, wenn nicht du, ist um diese Zeit schon wach und auf der Suche nach Antworten des Lebens. Ist alles in Ordnung bei dir?“
„Ich hatte letzte Nacht einen Traum. Nenne es wieder eine meiner verrückten Visionen, aber ich habe etwas gesehen. Ein Schwarm voller Fische, der nach Kattegat zieht und uns Essen für ein ganzes Festmahl beschert!“
„Bist du sicher? Mir scheint, dies ist nur ein Streich von deinem Namensfreund“
„Loki hat mit Fischen nichts zu tun, eher noch würde Balder uns jenen Schwarm senden.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Floki jene Träume mit Andeutungen auf die Götter bezieht.
„Bist du denn fündig geworden?“
„Vier soweit. Einer fand es lustig, mein Bein zu erkunden. Das hat ihn jetzt das Leben gekostet.“
Ragnar lacht und klopft Floki auf die Schulter.
„Lass uns Trinken und auf die Sonne warten. Die Fische verschwinden nicht so schnell.“
Jeweils ein Trinkhorn in der Hand sitzen die beiden am Strand und schauen auf das Wasser. Es ist nicht mehr so kalt und der Nebel beginnt langsam davonzuziehen.
„Du kommst nicht oft, um früh zu trinken. Was liegt dir auf dem Herzen, Ragnar Lothbrok?“
Floki versteht. Das hat er schon immer auf eine Art und Weise, wie niemand anders.
„Etwas ist im Himmel, was ich noch nicht zu sehen vermag. Aber ich kann es fühlen. Etwas wird geschehen, sobald ich fortziehe, zusammen mit Bjorn.“
Floki schlürft genüsslich von seinem Met und seufzt.
„Sicher, dass es nicht nur ein Prickeln, deiner unteren Ebene ist, vielleicht auch ein Pilz?“
Ragnar verschluckt sich an seinem Met und gibt Floki einen Stoß in die Seite.
„Wieso komme ich zu dir, wenn du mir wieder den Narren zeigst?“
„Weil ich der Narr bin, der deine Sorgen versteht und hört, ohne dafür Taler zu verlangen“
„Du bist ein Schelm“
„Falsch, ich bin dein Schelm.“
Floki kichert und sieht auf das Wasser. Der Himmel ist klar und wird heller.
„Ich denke einfach, dass sich etwas verändern wird, wenn ich gehe.“
Ragnars blaue Augen liegen jetzt auf dem seines besten Freundes.
„Es ändert sich immer etwas, wenn eine Veränderung ansteht. Du gehst weg, etwas Neues beginnt. Du wirst neues Land entdecken, Bjorn wird sich seinen ersten Gefahren stellen. Oder denkst du, es handelt sich um eine neue Frau?“
„Niemand ist so wie Lagertha“, stellt Ragnar fest und hält inne. Er hat es so gezwungen gesagt, fast als wolle er sich an diesem Gedanken festhalten. Floki schaut zu ihm, trinkt dabei und seufzt dann.
„Was auch immer du tust, sei dir gewiss über das was folgt. Das hast du mir einst selbst mit auf den Weg gegeben, Ragnar.“
Floki hat recht und dennoch nagt Ragnar den Gedanken, dass er es nicht fassen kann, dieses Gefühl in sich drinnen, dass sich etwas ändern wird. Es ist wie ein Knoten, der sich nicht lösen will, fest an ein Schiff gebunden.
Ragnar trinkt und seufzt. Vielleicht ist es nur die Aufregung von einem neuen Abenteuer.
„Wie geht es Helga?“
„Sie schläft, so wie dein Weibchen“
„Hey, du weißt genau, wie ich das meine.“
Floki ist ein Rätsel. Mal antwortet er so direkt, dass es als unverblümt galt und im nächsten Moment zitiert er die Götter oder redete in fremden Silben.
„Ich denke gut. Sie hilft mir bei den neusten Schiffsplänen. In letzter Zeit lächelt sie viel, das spricht von Glück, oder wie denkst du?“
Floki grinst erneut und schaut zu Ragnar, welcher dieses erwidert.
„Bist du auch glücklich?“
„Mit dir an meiner Seite, wie könnte ich nicht?“
Ragnar lacht ausgiebig und sie stoßen an. Am fernen Horizont kommt die Sonne hervor und beginnt das Land zu erleuchten.
„Der Sonnenaufgang wird nicht der Gleiche sein, bist du erst einmal fort.“
Floki klingt nachdenklich.
„Ist er niemals, wenn du fortziehst. Du erblickst ihn aus einem anderen Winkel, einer anderen Richtung. Wenn ich fort bin, wird es anders sein, aber es verbindet uns auch. Wir werden beide von einem anderen Ort auf die Sonne schauen, mit den Gedanken bei dem anderen.“
Beide schweigen eine lange Zeit, bis Kattegat den Tag antritt und die ersten Stimmen sich aus dem Hintergrund erheben. Nun ist es soweit und die alltäglichen Dinge müssen erledigt werden. Auch das Met in den Trinkhörnern ist alle, was den beiden ein Seufzen entlockt.
„Vergiss nicht, dich zu verabschieden, du Tölpel“
„Niemals. Denkst du ich lasse meinen Narren einfach alleine?“
Floki grinst, doch in diesem Moment fühlt er etwas anderes.
Tatsächlich ist dies meine Angst. Irgendwann bin ich dir vielleicht nicht mehr so wichtig, wie du es mir immer erzählst. Irgendwann findest du vielleicht jemanden bessern, wie mich.
„Ich folge dir immer, König. Jetzt geh und sag deinem Weib einen schönen guten Morgen.“
Floki klopft Ragnar brüderlich auf die Schulter und sieht ihm nach, als dieser von ihm geht.
Because maybe, you're gonna be the one that saves me
And after all, you're my wonderwall
Floki hält inne und sieht noch einmal zum Horizont. Was auch immer die künftigen Tage bringen würden, er hoffte, dass die Götter es gut meinten.
18.03.2018 - LC HAMILTON