Visionär und Skorpion

To Minna

Der Visionär und Skorpion

Eine Geschichte über Brücken und Mauern

Es war einmal ein kleines Dorf in mitten der Wälder des Nordens. Jenes Dorf beherbergte einen Visionär. Es war ihm in die Wiege gelegt worden groß zu träumen, Tiefe hinter den Menschen zu erblicken und den Blick immer gen Horizont zu halten – egal welcher Sturm auch kommen mochte.

Jener Visionär unterschied sich von der Bekanntheit des Volkes, jene die ihren alltäglichem Trott nachgingen und keinen Raum für neues ließen. Den Visionär störte dies nicht, denn sein Kompass, zeigte immer Geradeaus. Er ließ seinen Fokus nicht wandern.

Eines Tages traf dieser Visionär auf einen Skorpion. Jener hatte sich in der Menge des Marktes verirrt und niemand hatte sich bereit erklärt ihm den Weg zurück nach Hause zu zeigen. Der Visionär erkannte das Unheil und auch wenn nahezu das ganze Volk ihm geraten hatte, einem Skorpion nicht nahe zu kommen, so ließ der Visionär sich nicht beirren und folgte seinem inneren Kompass.

“Ich danke dir, Visionär. Ich hatte Angst, dass ich nicht mehr zurückfinden würde”, gestand der Skorpion mit Erleichterung.

“Nichts zu danken, mein Freund. Wie wäre es mit einem Glas Nectar zur Feier der Bekanntschaft?”

Der Skorpion war überwältigt. Das was das Volk über den Visionär sagte, schien fernab der Realität, wie der Visionär wirklich war. Ein Mensch mit Herz.

Von diesem Tag an schließen der Visionär und der Skorpion einen Bund der Ewigkeit.

Doch was dies bedeutete, sollten sie in jenem Moment nicht herausfinden.

Es vergingen erst Jahre, bis es zu jenem Wachstum der Ewigkeit kam.

Der Visionär hatte sich von seinem Weg nicht abbringen lassen, ganz egal was das Volk sagte. Doch mit jenem Wachstum entschied sich der Visionär neue Ziele zu setzten. Er ließ sich ein Schiff bauen und heuerte eine Mannschaft von Träumern, Abenteurern und all jenen die genug vom Alltagsleben hatten. Darunter auch der Skorpion.

Doch während der Visionär Schiffe baute und Karten zeichnete, zog sich der Skorpion zurück. Und irgendwo im Geiste flüsterte eine Stimme zu ihm: Er wird dich zurücklassen. Du bist ihm egal geworden. Er hat jetzt neue Menschen die er liebt. Du bist nichts mehr wert. So jemanden wie dich und deinen Stachel will doch niemand um sich haben.

Der Skorpion getränkt von seinem eigenen Gift der Gedanken, meideten den Visionär. Doch der Visionär versuchte vergebens den Skorpion zu erreichen und zu kommunizieren. Er sah den Schmerz des Skorpion und er wollte helfen, so sehr helfen. Sein Herz litt unter dem Leiden seines vertrauten Freundes.

Am Tag der Abreise, kam es zu einem kühlen Austausch.

“Ich habe dir immer so viel gegeben, doch jetzt lässt du mich hier. Egal was ich tue, es ist nie genug für mein Umfeld. Und Worte – was sind schon Worte in Briefe geschrieben, wenn es deine Präsenz ist, die ich brauche?”

Der Visionär schluckte und sah zu dem Skorpion.

“Ich lasse dich gehen. Für die Ewigkeit, auf die wir geschworen haben. Denk an mich, wenn du den Nordstern siehst und erzähle ihm von mir, in jeder Nacht, in der du mich brauchst. Er wird deine Stimme forttragen, denn im Herzen bleibst du mein Anker.”

Und so trat der Visionär die Reise an. Ganze drei Monate besegelte der Visionär die Welt und schöpfte neue Impulse. Die Briefe an seinen alten Freund blieben aus, doch die Gespräche mit dem Nordstern nicht.

Drei Monate später geschah es dann, dass der Visionär wieder Anker in jenem Dorf setzte, in welchem er einst geboren war. Und noch am selben Abend der Ankunft, traf er auf seinen alten Freund den Skorpion.

“Kann ich dich auf ein Glas Nectar einladen?”, fragte der Skorpion.

“Natürlich”, antwortete der Visionär und sie nahmen sich den Nectar und setzten sich an die See, im Hintergrund die Musik der Taverne.

“Ich habe mit dem Nordstern gesprochen. Zuerst nicht, dann hin und wieder und mittlerweile jede Nacht. Ich habe ihn gebeten, dass wir uns wiedersehen werden, denn ich weiß jetzt, dass ich dir Unrecht tat mit dem Gift meiner Gedanken und das war so nicht in Ordnung. Ich wollte ein Teil deiner Welt sein – einfach nur sein, Nectar trinken. Doch da waren immer deine Pläne und Visionen, ich fühlte mich ausgegrenzt und alleine. Ich dachte ich wäre nicht gut genug für dein Vorhaben.”

“Ich weiß, alter Freund. Auch ich habe Fehler begangen und das tut mir Leid. Ein Lehrer zu sein und zu inspirieren ist das eine in meiner Gegenwart, doch das lauschende Ohr eines Freundes zu sein, etwas anderes. Ich sah deinen Schmerz und ich beharrte auf Heilung, wo keine Heilung möglich war. Du konntest dich nur selbst heilen und wachsen, das weiß ich jetzt.”

Das Rauschen des Meeres untermalte den Augenblick des Schweigens.

“Du hast ein sehr großes Herz, Visionär”

“Und du einen unglaublich guten Panzer, Skorpion”

Sie lachten beide.

“Glaubst du das es Menschen dort draußen gibt, die auch mit dem Nordstern reden, anstatt miteinander?”

“Vermutlich. Worte können helfen Brücken zu bauen, doch sie reißen jene ein, wenn wieder und wieder das Gleiche gesagt wird. Dann ist es im Prinzip wie das Bauen einer Mauer”

“Manchmal ist es also besser, den Menschen zu lassen – leben zu lassen. Wie du und ich es getan haben”

“Ganz genau. Die richtigen Menschen – mögen sie noch so unterschiedlich vom Kern sein, finden durch die Liebe zueinander. Es ist die Andersartigkeit und Akzeptanz sowie Toleranz füreinander, die es möglich macht, dass sie miteinander leben können. Auf Ewigkeit.”

Der Skorpion blickte zum Nordstern und dann zu seinem Freund.

“Auf die Ewigkeit”


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